Widerstand gegen Bevormundung

Der politische Kampf des Netzwerks Muslimische Zivilgesellschaft gegen das Islamgesetz

„Für jede Seele sind einander folgende [Engel] vor und hinter ihr, um sie auf Allahs Geheiß zu beschützen. Allah ändert nicht den Zustand eines Volkes, bis sie das ändern, was in ihnen selbst ist. Und wenn Allah einem Volk Böses will, so kann es nicht zurückgewiesen werden. Und sie haben außer Ihm keinen Schutzherrn.“
Qur’an, Sure ar-Rad, Vers 11

Verantwortung zu übernehmen für die Gesellschaft, in der sie leben, ist für Muslim_innen elementar. Die Verabschiedung des Islamgesetzes mag zwar auf den ersten Blick lediglich die Gemeinschaft der Muslim_innen betreffen, bei genauerem Hinschauen offenbart sich jedoch die demokratiepolitische Bedrohung für die gesamte Gesellschaft: das Überstülpen einer von der muslimischen Basis nicht gewollten „Staatskirche“ und die Zerstörung der Selbstorganisation der muslimischen Gemeinde in Vereinen ist ein Problem, das, wenn ihm nicht von Anfang an begegnet wird, Schule machen kann und sich in andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens auszubreiten droht.

Der Protest gegen das Islamgesetz ist ein vielschichtiger, mit verschiedenen Facetten und Stoßrichtungen. Entsprechend bedienen wir uns verschiedener Möglichkeiten, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Es erscheint uns wichtig, nicht nur die muslimische Community aufzuklären und zu mobilisieren, sondern auch die Gesamtgesellschaft einzubinden, denn im Zeitalter der Totalisierung des Staates werden Grundrechte schleichend ausgehöhlt, was anscheinend am besten mit einer prototypischen Beschneidung dieser Rechte einer Minderheit umgesetzt werden kann. Und die Gesamtgesellschaft kann nur sensibilisiert werden, wenn der Deckmantel des antimuslimischen Rassismus, unter dessen Schutz die Politik ihre Pläne vorantreibt, heruntergerissen und durch ein anderes, positives Narrativ ersetzt wird: denn der Islam bezweckt die Befreiung des Menschen vom Dienst an falschen Göttern.

Konkret haben wir seit Oktober 2014 alle demokratischen Mittel des Widerstands genutzt, über die Veröffentlichung einer Stellungnahme zum Gesetz auf der Parlamentsseite, der Unterstützung einer Bürgerinitiative gegen das Gesetz, einem Hearing, Kontakten zu Parlamentariern und Vertretern in der muslimischen Gemeinde bis hin zu Pressekonferenzen und einer Kundgebung. Im Dezember haben wir ein öffentliches Hearing veranstaltet, zu dem wir die Minister aus Kultusamt und Integrationsministerium eingeladen haben. Nicht nur haben wir damit die Regierung unter Zugzwang gebracht – sie entsandten immerhin wichtige Vertreter aus den Ministerien, die öffentlich in die Mangel genommen wurden –, wir haben auch bewirkt, dass die muslimische Öffentlichkeit, die bis dato uninformiert war, einen Zugang zum Thema Islamgesetz bekommen hat.

In weiterer Folge haben wir am 24. Februar eine Pressekonferenz mit nachfolgender Kundgebung vor dem Parlament veranstaltet. Wiewohl wir auf verlorenem Posten standen, haben wir im Rahmen dieser Protestaktion insbesondere einen wichtigen Punkt als Teil unserer weiteren Strategie herausgearbeitet: Wir haben die Problematik der Einschränkung der Organisationsfreiheit hervorgehoben und angekündigt, dass wir das auch juristisch thematisieren werden. Hier erhoffen wir uns Zuspruch und Unterstützung von verschiedenen Teilen der Gesellschaft, denn wie kommt ein Staat dazu, dass sich Vereine mit einem bestimmten Inhalt unter eine andere Organisation unterzuordnen haben – mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten für die Regierung – unterzuordnen haben? Vor dem Hintergrund der Diskussion um Auslandsfinanzierung ist dieses eminent wichtige Thema immer noch viel zu wenig angesprochen worden: Wir sind aber dabei, uns weiter zu vernetzen, sowohl innermuslimisch als auch gesamtgesellschaftlich.

Deswegen beteiligen wir uns an der Organisation eines Nachbarschaftsfests zusammen mit der Initiative Anticapitalista, welches die Grenzen in den Köpfen der Menschen überwinden helfen soll. Und weiteren Aktionen in dieser Richtung stehen wir offen gegenüber. Denn wenn dies auch bis heute nicht klar war: Muslim_innen sind für soziale Gerechtigkeit, aber gegen jede Ausbeutung, Muslim_innen sind für das Bleiberecht für alle, aber gegen jede Form von Rassismus, Muslim_innen stehen für die Würde des Menschen ein, sie erheben sich jedoch gegen jede Form der Entmündigung.

Murat Gürol
Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft

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