Wer die Bedeutung von antimuslimischem Rassismus nicht erkennt, wird auch die falschen Konsequenzen ziehen!

Von David Sagner

Vorbemerkung:

Ich gehe wenig auf den aktuellen Fall ein, sondern habe versucht, einen allgemeinen Zugang zu erarbeiten. Denn die Debatten rund um den 8. März dieses Jahres, dem „Women‘s March“ im letzten Jahr und die fehlende Unterstützung bei der Demonstration gegen das Kopftuchverbot haben mittlerweile eine Kontinuität im falschen  Umgang mit antimuslimischem Rassismus aufgezeigt. Die Zitate zu Antisemitismus und der KPD sind aus dem Buch „Faschismus und Holocaust – der Versuch einer Erklärung“ von Horst Haenisch.

Kurz und der antimuslimische Rassismus

„Ich bin grundsätzlich ein Freund der Klarheit. Ich versuche das zu tun, was ich persönlich für richtig erachte und das auch unabhängig davon, ob es gerade populär ist oder nicht. So habe ich bis jetzt immer versucht zu handeln: in der Integration, bei der Schließung der Westbalkanroute und natürlich auch in der Türkeifrage. Und ich habe für mich persönlich in den letzten Tagen die Entscheidung getroffen, dass ich diesem Stil auch in diesen aktuellen und durchaus schwierigen Fragen treu bleiben möchte.“

Dies ist ein Auszug aus der „Neuwahlrede“ von Sebastian Kurz. Mit dieser inhaltlichen Ausrichtung startete er seinen Wahlkampf und schaffte es, die ÖVP aus einem historischen Tief von 18% auf 32% zu hieven und zur Kanzlerpartei zu machen.

Vorangegangen waren monatelange Diskussionen und Verhandlungen zum Regierungsprogramm, begleitet von rassistischen Diskussionen über Kopftuch- und Burkaverbot und Verschärfungen im Asylrecht. Im Wahlkampf setzte sich dies fort mit der (gefälschten) Studie zu Islamkindergärten und der Debatte über die Schließung der Balkanroute.

Bei den Themen Integration, Flüchtlingen und Türkeifrage nimmt antimuslimischer Rassismus jeweils eine verbindende Funktion ein. Um beim Zitat von Kurz zu bleiben: Frauen mit Kopftuch, die sich nicht integrieren wollen, die Gefahr einer fremden islamischen Kultur, die durch Flüchtlinge importiert wird, und türkische Moscheen als Ort des Extremismus und der Gefahr für „unsere“ Demokratie.

Antimuslimischer Rassismus hat sich in den letzten zehn Jahren als das vorherrschende Werkzeug gesellschaftlicher Spaltung etabliert. Bei einer Umfrage vom 01.12.2017 meinten drei Viertel (!) der Befragten, dass der Islam nicht zu Österreich gehöre. Ebenfalls geben drei Viertel der Befragten an, dass sie nur einen an europäische Werte angepassten Islam als Teil Europas sehen. Sprich bei  „richtiger Assimilation“ wird „er“ toleriert. 86% fordern eine strengere Kontrolle möglicher Auslandsfinanzierung von Moscheen. 84 %wollen auch eine strengere Kontrolle islamischer Kindergärten.

Im europäischen Vergleich ist Österreich Spitzenreiter bezüglich antimuslimischen Rassismus. Auf die Frage, ob Muslime als Nachbarn abgelehnt werden, stimmen 28% zu – so viel wie nirgendwo sonst in Europa.

Kurz hat es verstanden, diesen Rassismus für sich zu nutzen und im Wahlkampf dabei sogar die FPÖ „überholt“. Nur wenn wir das erkennen, können wir die derzeitige Stabilität der Regierung und die Wahlerfolge der ÖVP und FPÖ verstehen.

Neofaschistische Rechte und antimuslimischer Rassismus

Nachdem in Wieden mehrere Häuser mit dem Schriftzug „Moslems raus“ beschmiert wurden, machte Karl Öllinger einen wichtigen historischen Verweis:

„Exakt 80 Jahre, nachdem die Nazis die ersten „Juden raus“ – Parolen auf Mauern und Auslagen schmierten, mehren sich die Zeichen, dass einige nichts, aber auch schon gar nichts aus der Geschichte gelernt haben bzw. lernen wollen.“

Anfang der 2000er fand in der faschistischen Szene eine entscheidende Veränderung statt.

Mit dem Wegsterben der Nazigeneration und der damit einhergehenden breiten Ablehnung von Antisemitismus und Ideen des historischen Faschismus, waren rechtsextreme und faschistische Organisationen gezwungen, einen neuen Auftritt zu entwickeln. Antimuslimischer Rassismus hat sich dafür perfekt angeboten. Bestes Beispiel hierfür sind die Identitären aber auch Bewegungen wie Pegida in Deutschland.

Die FPÖ hat es schon sehr früh verstanden, mit diesem neuen kulturellen Rassismus umzugehen. Schon bei der Nationalratswahl 2006 plakatierte sie Slogans wie „Daham statt Islam“ oder „Pummerin statt Muezzin“. Bei den darauffolgenden Wien-Wahlen war es: „Mehr Mut für unser Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemanden gut“. Damit wurde die Verbindung mit dem biologischen und völkischen Rassismus aufrechterhalten.

Auf Grund der breiten politischen und medialen Ablehnung schreckt die FPÖ – im Umgang mit Antisemitismus – mittlerweile auch nicht vor Rauswürfen zurück. So erklärt sich auch der Rücktritt von Landbauer und das angekündigte Verbotsverfahren gegen die Burschenschaft Germania. Gerade die Liederbuch-Affäre hat aber bewiesen, wie tief Antisemitismus weiterhin verankert ist.

Die ideologische Anbindung an den historischen Faschismus und den Antisemitismus auf der einen und den massenwirksamen antimuslimischen Rassismus auf der anderen Seite, macht die FPÖ so gefährlich.

Die Geschichte hat gezeigt: Wir können uns keine Fehler im Umgang mit Rassismus leisten!

Werner Best, einer der Hauptkonstrukteure des Nazi-Terrorregimes, schrieb 1932:

„Wir erkennen nur, dass bestimmte Völker und Wesensarten unser Volk schädigen und in seinem Dasein bedrohen, und wir setzen uns zur Wehr. Auch im Kampfe gegen das Judentum ist unser Ziel die Freiheit von der Überfremdung, reinliche Scheidung und Fremdenrecht für die Volksfremden…. Welchen absoluten Wert oder Unwert das Judentum vor dem Stuhl eines außermenschlichen Richters haben mag, ist uns völlig gleichgültig, der Antisemitismus ist für uns keine Weltanschauung, sondern politische, wirtschaftliche und kulturelle Notwehr. Auch im Verhältnis zu den übrigen Völkern gilt das völkische Prinzip der Anerkennung jedes Volkstums und seines Daseinsrechts.“.

Tauscht man Begriffe wie Volk mit Kultur(gemeinschaft) aus, setzt „den Islam“ in den Fokus und vergleicht das Zitat mit Aufrufen heutiger neofaschistischer Bewegungen und Parteien, lässt sich eine gefährliche Ähnlichkeit erkennen.
„Nie wieder!“ …

… heißt auch, die folgenschweren Fehler und Fehleinschätzungen der Linken in den 20ern und 30ern nicht zu wiederholen. Vor allem ökonomistische Positionen im Umgang mit Antisemitismus entwickelten die absurdesten Ansätze. Auch wenn die Ablehnung von Antisemitismus innerhalb der Arbeiter_innenparteien in Deutschland weitestgehend Konsens waren. „Sowohl SPD und KPD gingen von der gleichen marxschen Prämisse aus: Die wirkliche Emanzipation der Juden ist Bestandteil der Emanzipation der Menschheit vom Kapitalismus.“ Dies war vom Ansatz nicht per se falsch. Die KPD erkannte aber nicht, inwieweit der Faschismus im Stande war, sich von den ökonomischen Interessen zu verselbständigen und eigene Ziele durchzusetzen.

Ruth Fischer, Vertreterin des „linksradikalen“ Flügels der KPD, sagte in einer Rede 1923:

„Wer gegen das Judenkapital kämpft, ist schon Klassenkämpfer, auch wenn er es nicht weiß… Tretet des Judenkapital nieder, hängt sie an die Laternen, zertrampelt sie…“

Hintergrund dieser abstrusen Aussage war der sogenannte „Schlageter-Kurs“. Die KPD versuchte, indem sie mit völkischen Kräften in Diskussion trat, deren Ideologie zu entlarven, indem sie betonte, dass nur sie sowohl jüdisches als auch christliches Kapital bekämpfe. Kombiniert war dies mit einer propagandistischen Vorgehensweise, die so weit ging, den Nazis selbst Verbandelung mit dem jüdischen Großkapital vorzuwerfen.

Dahinter steckte vor allem eine fatale Fehleinschätzung: „Die KPD hat die politischen Ziele und das Potential der Nazis nicht verstanden, den Antisemitismus deshalb nicht ernst genommen und verharmlost. Diesen Fehler teilte sie allerdings mit allen anderen politischen Strömungen – abgesehen von den Nazis selbst.“

Es geht mir nicht darum, ein abstraktes Horrorszenario an die Wand zu malen. Denn das Wichtige ist: Die Geschichte muss sich nicht wiederholen! Aber die derzeitige Kombination aus ökonomischer Krise, politischer Instabilität, verschärfter internationaler Konkurrenz und Aufstieg der neofaschistischen Rechten muss bei uns die Alarmglocken läuten lassen – vor allem im Umgang mit Rassismus.

Praktische Konsequenzen

Wenn wir erkennen, wie antimuslimischer Rassismus funktioniert und die Bedrohung durch ihn ernst nehmen, ergeben sich wichtige praktische Konsequenzen:
1) Um erfolgreich gegen Rassismus vorzugehen, müssen wir ihn beim Namen nennen.

Denn jede Form von Rassismus hat eigene Argumentationsmuster. Antimuslimischer Rassismus hat so weite Kreise erreichen können, weil er sich auch in liberalen oder linken Kreisen verankern konnte.

Diskussionen um Kopftuchverbote, Islamkindergärten, Auslandsfinanzierung haben in den letzten Jahren zu großen Verunsicherungen bei Antirassist_innen geführt, weil Unklarheit über die Funktionsweise von antimuslimischem Rassismus herrscht.

Es gab weder bei der Türkei-, Kopftuch- oder Kindergartendebatte ein progressives Element. Den Tonangeber_innen ging es weder um Rechte von Kurd_innen oder Verteidigung demokratischer Grundrechte, noch um Frauenrechte,  Kinderschutz, „Religionskritik“ oder Zurückdrängung autoritärer Ideologien. Der Grundton war rassistisch dominiert und motiviert.

So waren auch absurde Ansätze „Islamkritik“ von links zu äußern, nicht nur politisch falsch, sondern im Vorhinein zum Scheitern verurteilt.

Die Unklarheit darüber erklärt auch, warum die Grünen mit ihrem Antirassismus nicht punkten konnten. Die Grünen konnten der vorherrschenden rassistischen Spaltung nichts entgegensetzen. Dass sich u.a. ein Dönmez so lange in der Partei halten konnte, machte sie zu einem inkonsequenten Bündnispartner gegen Rassismus, trotz positiver Einzelbeispiele in der Partei.
2) Wir stehen bedingungslos auf der Seite jener, die rassistisch angegriffen werden.

Wenn eine Moschee von einem rassistischen Mob angegriffen wird, hinterfragen wir nicht zuerst deren politische Einstellung. Wenn eine Frau mit Kopftuch auf offener Straße attackiert wird, fragen wir nicht nach ihrer Einstellung zur AKP. Wir gehen dazwischen. Punkt.

Erst dann schaffen wir es, gehört zu werden für weitergehende gesellschaftspolitische Fragen. Gerade das hat das Netzwerk Muslimische Zivilgesellschaft in den letzten Jahren durch ihr konsequentes Auftreten gegen Rassismus gezeigt. Als aktivistischer Anlaufpunkt gegen Rassismus konnte es in der muslimischen Gemeinschaft für weitergehende progressive Positionen wie Feminismus streiten. Die Demonstration gegen das Kopftuchverbot hat dies eindrucksvoll verdeutlicht.

3) Bündnispolitisch heißt es, eine aktive Zusammenarbeit mit muslimischen Vereinen aufzubauen. Dass sogar ein NMZ attackiert wird, das sich auch zu Themen wie Feminismus oder sozialer Ungerechtigkeit positioniert, zeigt wie wenig Klarheit dazu herrscht. Ein erfolgreicher Kampf gegen Rassismus wird nur erfolgreich sein, wenn er die Betroffenen aktiv mit einbezieht. Dies war in der antirassistischen Linken immer Konsens. Bei den Flüchtlingsdemonstrationen wurde das richtigerweise eingefordert. Nach den rassistischen Morden an Omofuma und Wague haben wir uns bedingungslos hinter die „Black Community“ gestellt. Nur bei Muslim_innen wird dies regelmäßig in Frage gestellt. Nur bei Muslim_innen werden immer wieder Bedingungen aufgestellt.
3) Bündnispolitik heißt nicht, eine politische Ehe einzugehen, sondern sich zu bestimmten Fragen mit Akteur_innen zusammenzuschließen, mit denen man bei anderen Fragen gegenteiliger Meinung sein kann.

Ich kann mit der Volkshilfe oder der Caritas gegen Rassismus demonstrieren, aber bei den Streiks im Sozialbereich auf der anderen Seite stehen. Ich kann mit der SPÖ gegen den Akademikerball aufmarschieren, aber bei Fragen der Asylpolitik zum schärfsten Gegner werden. Und ich kann mit Menschen, die den türkischen Nationalismus verteidigen, gegen rassistische Hetze auftreten, aber gleichzeitig den Krieg gegen Kurd_innen durch den türkischen Staat verurteilen.

Dieser Zugang ermöglicht es uns erst, Teile der Gesellschaft zu erreichen, die als Kolleg_innen, Kommiliton_innen oder Mitschüler_innen wichtige Verbündete im Widerstand gegen die Regierung sind und zu denen wir bisher noch kein Verhältnis aufbauen konnten.

Damit Bündnisarbeit einen nachhaltigen Effekt hat, ist eine begleitende solidarische, politische Debatte über unterschiedliche Inhalte, Zielsetzung und strategische Fragen wichtig und notwendig.
4) Die Verankerung von türkischem Nationalismus und AKP müssen wir als Linke ernst nehmen. Aber dafür brauchen wir ein Verständnis, warum es so weit kommen konnte.

Dies hat in Österreich primär – und hier schließt sich der Kreis – mit Rassismus zu tun. Vor allem in den letzten 15 Jahren findet eine systematische rassistische Ausgrenzung türkischer Migrant_innen aus dem politischen, kulturellen und sozialen Leben statt, nach dem Motto „Ihr seid nicht Teil von Österreich!“. Genau hier konnte sich Erdogan profilieren: „Dieses Europa ist ein Europa des Mittelalters und ein Türken- und islamfeindliches Europa“ .

Die systematische Ausgrenzung führte dazu, dass sich viele dem türkischen Nationalismus annähern, auch wenn sie schon in der zweiten oder dritten Generation in Österreich leben.

Ebenso wie viele Österreicher_innen den österreichischen Nationalismus annehmen und damit tausende Tote an den EU Außengrenzen – bewusst oder unbewusst – in Kauf nehmen.


5) Das gegeneinander Ausspielen von Muslim_innen und Kurd_innen ist die verheerendste Auswirkung der letzten Diskussionen.

Als Linke haben wir die Aufgabe, politische Verbindungen herzustellen anstatt Spaltungslinien zu reproduzieren.

Derselbe österreichische Staat, der Muslim_innen als Staatsfeind NR.1 erklärt, hat in den letzten Jahr(zehnt)en zur Stabilität Erdogans beigetragen. Zu Recht wird bei den Demonstrationen in Deutschland, vor allem die deutsche Regierung und der deutsche Staat dafür angegriffen, die Türkei seit Jahren mit Waffen und Panzern zu beliefern.

Auch wenn Österreich bei militärischen Exporten unbedeutend ist, schaut es bei wirtschaftlichen Investitionen anders aus. Die Türkei zählt zu den 20 wichtigsten Handelspartnern Österreichs. Nach der Krise 2008 wurde Osteuropa als unsichere Investitionsquelle wahrgenommen, während man in der Türkei neue Chancen erkannte. Noch 2010 war Österreich an erster Stelle bei Auslandsinvestitionen, vor Frankreich. Genau solche Auslandsinvestitionen haben der Türkei und somit auch Erdogan wirtschaftliche und politische Stabilität gesichert.

Auch wenn auf Grund unterschiedlicher geostrategischer Interessen sich der Konflikt, EU versus Türkei in den letzten Jahren verhärtet hat, zeigten die Annäherungsversuche der neuen Außenministerin, dass die Türkei weiterhin als wichtiger Partner gesehen wird.

Schlussendlich bedeutet eine Schwächung der eigenen Regierung, die in Sachen Außenpolitik über Leichen geht, auch eine Schwächung Erdogans. „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ ist somit keine abstrakte Formel, sondern die zugespitzteste Umsetzung von internationaler Solidarität.

Schluß

Antimuslimischer Rassismus ist derzeit nicht nur das wichtigste Spaltungsinstrument herrschender Interessen, sondern untergräbt dadurch Möglichkeiten kollektiver Erfahrungen in sozialen Kämpfen und Streiks. Mit jedem Mal, wo Muslim_innen bei Angriffen alleine gelassen werden, können sich rassistische Ideen weiter verankern. Somit rückt auch die Idee einer gerechten Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung weiter in die Ferne.

Dementsprechend ist es unsere dringlichste Aufgabe, Rassismus entschieden und mit Klarheit entgegenzutreten.

 

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