Schutzbedürftige

Vizekanzler H.C. Strache möchte ein Kopftuchverbot an Kindergärten und Volksschulen einführen und begründet dies mit dem Kindesschutz. Wovor das Kind geschützt werden soll, impliziert der antimuslimische Humus, der in den letzten Jahren europaweit gediehen ist: die Kinder sollen vor der minderwertigen, gewalttätigen Kultur des Islams geschützt werden. Wohlgemerkt, das spricht in dieser Form niemand so aus, das wäre auch zu anrüchig, um politisch korrekt zu sein. Aber das Schöne ist ja, dass man sich als Politiker brav an Floskeln wie Kindesschutz und dergleichen anlehnen kann, wenn der langwierige, ja bereits historische öffentliche Diskurs schon längst die Betroffenen als Menschen herabgewürdigt hat, vor denen geschützt werden muss. Nett auch, dass kaum einer widerspricht. Selbst wenn, sind das ja genau diejenigen, die schon anderweitig als minderwertig und unaufgeklärt herabgesetzt wurden.

Nicht gerade ein Geniestreich von Politik, hat aber was von Bauernschläue.

Politischer Diskurs ist interner Kolonialismus

Mit ähnlichen Argumenten – z.B. zum Schutz der Frauen – wurden NATO-Soldaten nach Afghanistan geschickt. Desweiteren wurden Fremdenlegionäre – feministisch legitimiert – nach Algerien geschickt. Davor schon allerlei koloniale Krieger in aller Herren Länder, um direkt vor Ort den Menschen Schutz vor Unzivilisiertheit und Barbarei zu gewähren. Der Kolonialismus richtete sich aber auch nach innen, wenn Minderheiten Bürgerrechte versprochen wurden, wenn sie sich nur emanzipierten (im heutigen Sprech: integrierten). Dennoch haben 150 Jahre jüdischer Emanzipation nicht ausgereicht, die Vernichtung der jüdischen Minderheit zu verhindern. Vor diesem Hintergrund ist auch das neue Islamgesetz ein Werkzeug der internen Kolonisation, denn mit ihm wird die IGGiÖ nicht nur zur offiziellen Vertretung der Muslime in Österreich, sie dient dem Staat auch, das Projekt der Kontrolle und der Integration durchzuführen, wodurch sich der Staat als Bringer von Zivilisation vor Gott und der Welt legitimiert.

Selbstbestimmungsrecht versus Erziehungsrecht der Eltern

Nur das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gegen koloniale Bevormundung zu stellen, greift zu kurz. Das wird vor allem dann klar, wenn es um Unmündige geht, die nicht selbst bestimmen können. Dann stellt sich schnell die Frage: wer darf Unmündige bevormunden? Wer tritt für Kinder ein? Dürfen also Eltern nicht mehr erziehen? Oder betrifft das nur bestimmte Eltern, denen offenbar bald selbst ein Vormund vorgesetzt wird?

Der Schutz von Unmündigen durch Bevormundung ist nicht nur diskriminierend, weil er nur die muslimische Minderheit betrifft; dieses Schema, Grundrechte einzuschränken, ist auch gefährlich, weil es einen weiteren Präzedenzfall für den schrittweisen Abbau von Bürgerrechten schafft, einen ähnlichen Präzedenzfall, wie bereits mit der Novelle des Islamgesetzes geschaffen wurde, wo das Vereinsrecht durch ein Spezialgesetz für Muslime massiv eingeschränkt wurde. Was an einer Minderheit durchexerziert worden ist, wird auch vor der Mehrheitsgesellschaft keinen Halt machen, denn die Hemmschwelle ist bereits gefallen.

Aber die Schaupolitik, mit großem Tamtam baren Aktionismus an einer marginalen Gruppe zu vollziehen, um den Anschein von politischer Tatkraft zu erzeugen – wie schon zuvor von Schwarz-Rot –, hat auch einen weiteren netten Nebeneffekt:

Während nun unzählige Diskussionen über ein weiteres Kopftuchverbot stattfinden – derer wir uns offenbar noch viele weitere erwarten dürfen –, werden in Europa immer mehr die Weichen in Richtung externen Kolonialismus gestellt, und das betrifft nun nicht mehr nur eine Minderheit, sondern alle, wiewohl darüber erstaunlicherweise kaum eine öffentliche Diskussion stattfindet: nach dem Beschluss der ständigen strukturierten Zusammenarbeit ist das militärische Schengen im Gespräch. Und noch bevor jemand Parallelen zwischen dem geplanten Ausbau von (Autobahn-)Brücken und Tunneln heute und Hitlers Autobahnbau damals für dessen Kriegsprojekte ziehen kann, wird mit einem Tsunami, ausgelöst durch ein Kopftuchbeben, jeglicher Verstand weggeschwemmt.

Und so wird „nie wieder“ zur leeren Phrase.

Über Murat Gürol

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