NMZ.Schriftenreihe
Nr.01
Liebe Freundinnen und Freunde,
wir freuen uns Euch die erste Ausgabe unserer Schriftenreihe präsentieren zu dürfen. Wir hoffen, dass das aktuelle Paper der AG Theologie zum Thema „Schulen in Wien – Deradikalisierung oder Denunzierung?“ auf Euer Interesse stößt. Damit wollen wir einen positiven Beitrag zur anhaltenden Debatte beisteuern. Kritik und Anregungen im Sinne eines konstruktiven Diskurses sind ausdrücklich erwünscht.
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Von Religionspädagogen und Regionsdemagogen
In Zeiten anhaltender Diskussionen zu den Vorkommnissen in Irak und Syrien und der verbreiteten Angst hinsichtlich des Phänomens des „globalen Dschihadismus“, stellt eine differenzierte und auf Ursachenforschung fußende Debattenführung und Medienberichterstattung immer mehr eine Seltenheit dar. Gespräche sowie Berichte rund um das Thema sind stattdessen oft durchzogen von Emotionalisierungund obstinater „Sündenbocklogik“. Ist die Welt tatsächlich nur mehr in schwarz und weiß einzuteilen, wie manche Tagesblätter uns glauben lassen wollen?
1.1. Islamophobie als Erfolgsrezept?
„Dschihadismus, ISIS, Terror, Islam, Muslime“. Für viele sogenannte „Islamexperten“ sind diese Begriffe bereits Synonyme. Es ist nicht mehr zu übersehen, dass Radikalität als etwas genuin „Islamisches“ dargestellt wird. Dies beruht aber weniger auf tatsächlichen Analysen und Erkenntnissen über radikale Jugendkulturen – um das aktuelle Beispiel zu nennen –, als viel mehr auf alteingesessenen Ressentiments gegenüber Muslimen und Feindbildern über den Islam, derer man sich in jetzigen Debatten wieder neu bedient. Das Misstrauen gegenüber Muslimen und ihrer Religion scheint einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben.
Deutlich wird dies auch anhand des vorliegenden Gesetzesentwurfes zum neuen Islamgesetz, welcher in den letzten Wochen für viel Wirbel und Empörung unter Muslimen aber auch unter nicht-muslimischen Experten gesorgt hat. Der Entwurf, der den Rufhat, diskriminierend zu sein und in die inneren Angelegenheiten einer Religion einzugreifen, hat Symbolcharakter für eine Zeit, in der man als Muslim/Muslimin in Österreich das Gefühl hat,in einem Roman von Ephraim Kishongefangen zu sein.
In Kishons Satirewerk „Mein Kamm“, das an die Geschichte der Stigmatisierungund etappenweisen Verhetzungder Mehrheitsgesellschaft gegen die jüdische Bevölkerung Anfang des letzten Jahrhunderts angelehnt ist, ist die Rede von geschürten Feindbildern und ihren Profiteuren. Im Buch sind es „die Glatzköpfe“, die der Hauptcharakter und sein Journalisten-Freund öffentlichmit gefährlichen und feindlichen Eigenschaften versieht und deren verleumderische Brandmarkungs-Kampagne nach und nach in der Gesellschaft fruchtet. In dem geschürten Klima von Angst und Hass stehen siegemeinsam mit der Perückenindustrieals die politischen und ökonomischen Gewinner da – auf Kosten der glatzköpfigen Bürger wohlgemerkt.
Was Kishon als humoristische Geschichteerzählt, hat als Vorlage jedoch die traurige Realität des letzten Jahrhunderts. Doch was hat das heute alles mit uns zu tun? Möglicherweise mehr als wir denken.
Nur einen Tag vor Ablauf der Begutachtungsfrist zur Novellierung des neuen Islamgesetzes setzte die FPÖ eine Protest kundgebung gegen den Bau einer „Imam-Schule“ in Wien Simmering an. “Gemeinsam gegen radikalen Islamismus! Wir verstehen eure Wut! Keine türkische Imam-Schule in Simmering!”
Es ist also möglich, dass Schulen und Organisationen, die einen islamischen Background aufweisen, mit radikalen Islamisten gleichgesetzt werden können,ohne dass sich jemand über einederartige Verleumdung wundert. Wiesosollte es auch überraschen, wennman bedenkt, dass die FPÖ seit Jahren auf anti-muslimische und islamophobe Ressentiments setzt, um ihren Wahlkampf zu führen?
Doch wer denkt, dass es nur die FPÖ ist, die von Islamophobie und dem Spiel mit anti-muslimischen Abwertungsstrategien profitiert, der irrt. Undan dieser Stelle erscheint ein erneuter Blick in die Vergangenheit sinnvoll: „Was früher Talmud-Hetze war ist heute Koran-Hetze“ titelte Anfang Oktober ein Interview mit dem Historiker Wolfgang Benz, der die Methoden der Ausgrenzungvon Juden mit der von Muslimenheute verglich. Eine besondere Rolle kam damals jenen „Experten“zu, die die religiöse Judenfeindschaft etwa dadurch vorantrieben, in dem sie behaupteten, der Talmud enthalte grausame Dinge. In Büchern sei heute etwa die Rede davon, dass ein Christder Gewalt ausübt, sich vor seiner Religionstrafbar mache, ein Muslim aber, der keine Gewalt ausübt, sich in seiner Religion strafbar mache. Dabei würden sich die Verfasser auf den Koran berufen. „Was früher Talmud-Hetze war, ist jetzt Koran-Hetze. Man stigmatisiert eine Minderheit als gefährlich, weil es ihr angeblichdie Religion befiehlt“, so Benz.
Nun sind es also Politiker, sogenannte „Islam-Experten“ und diverse Buchautoren, die sich einer anti-islamischen Rhetorik bemächtigen. Ist Islamfeindlichkeit schon zu einer eigenen gewinn versprechenden Erfolgsstrategie geworden? Einer sei an dieser Stelle ebenso genannt, da Anfang November besonders erschreckende Töne von ihm zuvernehmen waren.
1.2. Populismus statt Wissenschaft?
Der Religionspädagoge Ednan Aslan hielt im November 2014 im Auftrag des Verfassungsschutzes einen Vortragzum Thema „Dschihadistische Gefährdung“ vor 180 Lehrkräften des Wiener Stadtschulrates.
Während in den Medien seit Wochendie Rede von der Novellierung des Islamgesetzeswar, wurde wenig überdiese Infoveranstaltung berichtet. In seinem Vortrag erläuterte Aslan, wie Radikalisierungstendenzen bei Jugendlichenzu erkennen seien. So behauptete er etwa, dass Indizien für den in Ganggekommenen Transformationsprozesszum „Dschihadisten“ u.a. das Trageneines Vollbartes oder die häufige Verwendung von bestimmten religiösen Formeln seien (Näheres unten)
Karim Saad, Herausgeber eines muslimischen Online-Magazins, schrieb hierzu: „Es ist schockierend zu sehen, dass ein Vortragender bei einer derartwichtigen Veranstaltung mit Begrifflichkeiten, die er nicht näher erläutert, um sich wirft. In einem Raum mit womöglich wenig bis keinen religionswissenschaftlich ausgebildeten Lehrern derartige Äußerungen zu tätigen, ist fahrlässigund gefährlich. Pädagogen erhaltenein vermeintlich einfaches Muster, umpotentielle Dschihadisten aufzuspüren. Dass eine derartige Rasterfahndung zueiner Verunglimpfung und unverantwortlichen Pauschalisierung von muslimischen Jugendlichen führt, schien den Veranstaltern nicht bewusst zu sein.“ Erstellt die Frage, wie Lehrer dadurch erkennen sollen, ob es sich um einen Fall von Radikalisierung, dem Beginn des Praktizierens von Religion oder einem einfachen Pausengespräch unter Jugendlichen handelt.
Eine weitere Frage, die an dieser Stellegestellt werden sollte, ist aber auch: Wer schützt eigentlich die Schüler und Schülerinnen? Wenn der Inhalt von Fortbildungsveranstaltungen besagt, dass es von nun an als legitim anzusehenist, gewöhnliche islamische Alltagssymbolik als „radikal“ einzustufen, bleibt nichts anderes übrig, als jeden muslimischen Schüler, der in irgend einer Weise etwas sagt oder tut, was mit dem Islam in Verbindunggebracht werden kann, zu melden. Und so verwundert es nicht, dass es bereits die ersten Fälle gab, in denen auch genau das geschehen ist: In einer Diskussionsrunde der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule mit dem Titel „Dschihadismus – I like it“ berichteten die Vortragenden von einem Fall, in dem eine einfache Kette mit einem „Allah“-Schriftzug genügt hatte, damit eine Schülerin von ihrer Lehrkraft gemeldet wurde. Die Begründung war, dass das Symbol Ähnlichkeit mit dem Logo der IS hätte. Nun ist es allgemein bekannt, dass die IS islamische Symbolik missbraucht. Genauso wie auch im Christentum fanatisiertes Sendungsbewusstsein zum Missbrauch christlicher Symbolik führte. Doch wer käme auf die Idee, eine Schülerin wegeneiner Kette mit einem Kreuz als radikalisiert zu erachten?
Ein anderes Beispiel, das an diesem Abend genannt wurde, ist das einer Direktorin, die zu einer Schülerin mit Kopftuch sagte: „Wenn ich dich sehe, sehe ich die IS! “ Hier treffen offensichtlich Mangel an Differenzierungs vermögen zwischen Islam, Islamismus und Dschihadismus mit Fremdenfeindlichkeit zusammen.
Diese extrem vereinfachende Argumentations linie, welche die Ursache von Radikalisierung an der Religionfestmacht, erscheint absurd, wird abergenau von jenen „Wissenschaftlern“, wie Ednan Aslan, vertreten. Wer eine ernsthafte Ursachenforschung erwartet, wird nur eine gegen die muslimische Bevölkerung im Allgemeinen und ihre Religion gerichtete Propaganda vorfinden. Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit den veränderten Lebensbedingungen der komplexen, postmodernen Lebenswelt von Jugendlichen und immer wieder neu auftretenden Jugendkulturen aller Art (darunter eben auch radikaler Jugendkulturen wie Dschihadismus und Rechtsextremismus) sowie die besondere Bedeutung der Vernetzungskultur der Generation Facebook dringend notwendig, um zu verstehen, wie die Lebensrealität von jungen Menschen aussieht und welchen besonderen Beitrag religiöse Bildung leisten kann– auch um verzerrten Verständnissenvon Religion entgegenzusteuern!
Aslan, der oftmals islamische Einrichtungen als radikal und gefährlich denunziert, wie es etwa bei Wiener Kindergärten der Fall gewesen ist (beidenen sich bereits herausgestellt hat, dass nichts Wahres hinter diesen Anschuldigungensteckt), erscheint inseinem Auftreten kaum wie ein Religionspädagogeund Wissenschaftler der Universität Wien.
2. Religiöse Formeln im muslimischen Alltag:
Ein Anzeichen von Radikalisierung?
Herr Aslan legt seinen Zuhörern eine Artvon Raster vor, an Hand dessen Schüler leicht in ungefährliche und in extremistisch gefährdete Schüler unterschieden werden sollen. Bei diesem Raster wird auch die häufige Verwendung bestimmter arabischer Wörter als Rasterkriterium hervorgehoben. Diese seien: „Subhanahallah, Maschaallah, Yaani, Heuchler, Kafir, Muschrik, Achi“.
Erstaunlich ist es, dass diese Wörter nicht erklärt werden. Kann es denn Pädagogen so unwichtig sein, was wirklich hinter diesen Wörtern steht? Betrachten wir diese der Reihe nach:
2.1. Subhanahallah. Für jeden des Arabischen kundigen offensichtlich eine falsche Transkription des Wortes Subhanallah. Das Wort wird in den meisten Koran-Übersetzungen wiedergegeben mit „Preis sei Allah“. Linguistischund theologisch steckt jedoch mehr da hinter, was in einer einfachen Übersetzung verloren geht. „Das Freisprechendes Schöpfers von geschöpflichen, mangelhaften und Ihm nicht zukommenden Eigenschaften“ lautengängige Erklärungen. Was hier etwas kompliziert erscheint, ist die zentrale Haltung jedes gläubigen monotheistischen Menschen: dass der Schöpfer unvergleichbar, erhaben ist und in seinem Wesen nicht von Menschen vollständigerfasst werden kann. Damit sind auchalle Handlungen des Schöpfers gut und rein: Seine Eigenschaften sind nicht mit den negativ belasteten Eigenschaften der Schöpfung vergleichbar.
Im Umkehrschluss bedeutet dies aber für den gläubigen Menschen, der dies ausspricht, dass er seine eigene Geschöpflichkeit und damit auch seine Verletzlichkeit und Unvollkommenheit offen legt. Daher wird diese Wendungan vielen zentralen Stellen im muslimischen Gebetsritus verwendet. Mit ihm wird normalerweise das rituelle Gebetbegonnen, weshalb es meist im ersten von Kindern auswendig gelernten Text (subhanak-Allahumma…) erscheint. Deutlich hervorgehoben wird diese Formel auch in der Niederwerfung, wo sich sein symbolischer Gehalt besonders manifestiert: Man macht sich klein vor seinem Schöpfer, zeigt damit seine eigene Begrenztheit und preist die Erhabenheit Gottes. Genau dies sollte der Beginn von Bescheidenheit und die Abkehr von Überheblichkeit im menschlichen Leben einleiten, was natürlich nicht heißt, dass Gläubige vor diesen Gefahren geschützt seien, sondern eher, dass sie sich in ihrer Gebetspraxis genau an diese Notwendigkeiterinnern wollen!
Auch nach dem rituellen Gebet wird Subhanallah gewöhnlich 33 mal in genau dieser Form wiederholt. Es taucht wieder auf in zahllosen Lobpreisungen, die am Morgen und am Abend rezitiert werden. Hier drängt sich die Frage auf, ab welcher Anzahl dann das Aussprechen dieser Formel ein Anzeichenvon Extremismus sein soll: gerade, wenn ein normal praktizierender Muslim es im Durchschnitt vielleicht 100-200 Mal am Tag ausspricht?
Von der Gebetspraxis aus ist diese Formel auch in den muslimischen Alltageingedrungen. Nicht immer wird sie dort präzise in der Bedeutung „Gott seigepriesen/Allah ist erhaben“ verwendet, sondern oft beim Erstaunen über etwas Befremdliches. Von hier aus ist esverständlich, wenn Subhanallah in der Jugendsprache oft nur noch als eine Phrase der Verwunderung auftaucht, ohne dass ein tieferer spiritueller Gehalter kennbar wäre. Aber wo ist das nicht, wenn religiöse Sprache in den Alltageinfließt? Wo wird denn im Deutschendas Wort „Gott sei Dank“ oder „leider Gottes“ wirklich ernsthaft und bewussteingesetzt? Verwenden nicht auch Atheisten diese Ausdrücke, und wenn man sie darauf anspricht, reagieren sie vielleicht schulterzuckend: „So ist eshalt mal mit sprachlicher Prägung“!
2.2. Maaschallah. Wörtlich „was Allah gewollt hat!“. Dieser Ausdruck wird immer dann verwendet, wenn man sich über etwas Schönes und Gutes freut. Man bringt damit seine stetige Verbundenheit mit dem Schöpfer zum Ausdruck. Besonders in der traditionellen Alltagssprache – noch ausgeprägter bei der Generation der Eltern und Großeltern der jungen Muslime– gilt es als sehr verpönt, wenn man beim Anblick von etwas Schönem nur„toll“ und „super“ sagt, ohne seinem Satz ein Maaschallah hinzufügen. Denn es soll zu Bescheidenheit anleiten und die Menschen untereinandervor Missgunst und Neid warnen.
2.3. Yani. Die Aufnahme dieses Wortesin ein Raster radikal islamischer Wörterkönnte fast als Groteske durchgehen, wenn es nicht so erschreckend gefährlich ist, mit welchen Methoden hier Verhetzung betrieben wird! Yani bedeutet nichts anderes als „also“,„na ja“. Ganz wörtlich ist es ein Verbinder Bedeutung „das heißt“. Logisch, dass solche Floskeln in allen Sprachen existieren und fast unkontrollierbar über die Lippen kommen. Vom Arabischen ist das Wort in das Persische und Türkische gewandert – sicherlich weiß dort kaum einer, dass es sich um ein arabisches Präsens der 3. Person handelt. Es ist ein Wort gänzlich ohne religiöse Bedeutung, ein Lückenfüller und findet sich in allen islamisch geprägten Sprachen. Jetzt also auch im Deutschen und im Wienerischen. Wo immer Menschen zusammen leben, vermischen sich ihre Kulturen, werden Güter transportiert, aber auch Wörter wandern – und manchmal auch weniger sinnvolle. So what?
Wenn dies als ein Zeichen von Radikalitätgelten soll, so kann man Zustände wie in der Türkei der Militärdiktatur der 80er Jahre erwarten. Damals ließen die Behörden kurdische Kinder bestrafen, wenn ihnen wieder mal im Unterricht Wörter ihrer, in der Öffentlichkeit verbotenen Muttersprache, herausgerutscht waren. Wollen wir in Österreich diese Zustände wirklich? Haben wir nicht genügenderschreckende geschichtliche Beispiele, die uns warnen?
2.4. Heuchler. Schaut man sich die historischen Umstände der Koran-Offenbarungan, so taucht der Begriff „Heuchler“ (Munafiq) vor allem in der zweiten Phase der Offenbarung, in der Stadt Madina, auf. Hier bezeichnet er eine Personengruppe, welche halb herzig mit den Lippen ein Bekenntnis zum Islam ablegten, aber nicht wirklich nach den inneren Werten der Religion leben wollten. Weil weltlicher Gewinn und Macht im Vor der grundstanden, wollten sie immer bei der stärkeren Gruppe sein. Ging es den Muslimen gut, waren sie auf ihrer Seite, und wenn sie meinten, die muslimische Gemeinschaft sei am Ende, sowechselten sie schnell die Seiten.
Jeder Gläubige ist aufgerufen, sich zu fragen, ob er Spuren solchen unehrlichenVerhaltens in seinem Herzenträgt. Daher wird von den Gefährtendes Propheten Muhammad (Friede und Segen auf ihm) berichtet, dass sie hier sehr selbstkritisch verfuhren und sichimmer wieder fragten, ob nicht auch auf sie selbst die Zeichen des Heuchler zu träfen. Denn in einem Propheten ausspruch werden Lüge und Treulosigkeit als solche Anzeichen beschrieben.
Abzulehnen ist es natürlich, dass einsolcher Begriff wahllos auf andere Menschen übertragen wird, wo nur Gottüber das wahre Innere des Anderen Bescheid weiß. Genau dies muss in einem ernsthaften Religionsunterricht thematisiert werden. Wenn aber Jugendliche leichtsinnig mit Schimpfwörtern andere diffamieren, sollen dann Erzieherund Direktoren ebenso leichtsinnig diese als radikal und extrem diffamieren? Haben Pädagogen vollständig ihr Vertrauen in die eigenen Erziehungsmethodenverloren, wenn sie zu Mittelngreifen, die an die düstersten Seiten einer Geschichte von Denunziantentum und Gedankenschnüffelei erinnern?
2.5. Kafir: Meist übersetzt mit „Ungläubiger“. Wörtlich kommt es jedoch vondem Wortstamm „bedecken“ (kafara). Im Koran wird es in einer Vielzahl von Bedeutungen verwendet. Die grundlegendste Bedeutung ist das „Bedecken/Ableugnen“ der Gnadengaben und Geschenke Gottes: eine Umschreibungvon Undankbarkeit. Jeder Muslim ist auch hier als erstes aufgerufen, sichvon dieser Eigenschaft fernzuhalten.In weiterer Konsequenz beinhaltet das Wort das bewusste Ablehnen der göttlichen Botschaft und das absichtliche Verdrehen von Botschaften und Zeichen Gottes, die an einen Prophetengeschickt wurden. Daher wird dieses Wort in den meisten Koran-Übersetzungen mit „Ungläubiger“ wiedergegeben, obwohl dies unzureichend ist: Denn dem anderen wird ja nicht der Glaube an sich abgesprochen, sondern es geht um die Ablehnung der islamischen Botschaft.
Kurz gesagt: Jede Religion baut auf der Unterscheidung einer Eigengruppe und einer Fremdgruppe auf. Würden die Religionen ihren Auftrag vergessen, über die grundlegenden Bedingungen einer Zugehörigkeit zu ihrer Gemeinschaftzu sprechen, so führen sich diese Religionen adabsurdum. So gibt es Kriterien des Glaubens und des Unglaubensim Christentum (Christ seinohne an Jesus zu glauben?), Judentumund Islam, und keiner sollte damit Probleme haben, solange die Menschenwissen, wie sie im Alltag miteinanderrespektvoll umzugehen haben.
Hier ist der islamische Aufruf klar. Daman sich selber auch seines eigenen Glaubens nie ganz sicher sein kann und nie mit Gewissheit davon ausgehendarf, dass man tatsächlich auchmit dieser Grundüberzeugung sein Lebenabschließen wird, sollte man nicht in Arroganz auf andere herabschauen. Überheblichkeit ist das Gegenteil vonreligiöser Erziehung.
Es ist also nicht die bloße Verwendungdes Begriffs, welche zu kritisieren ist, sondern sehr wohl die pauschalisierende Verurteilung des anderen. Ja, auch dieses Wort mag von Jugendlichen als Schimpfwort ausgesprochen werden. Aber ist das bitte das einzige Schimpfwort? Wird die gesamte Verrohung des Schulalltags jetzt nur noch an religiös konnotierten Begriffen fest gemacht? Sollen wir den Leser im Folgenden vielleicht mit einer Liste der gängigsten „echt wienerischen“ Schimpfwörter in die Realität zurückholen?
Genau hier hat wieder eine fundiertereligiöse Erziehung anzusetzen: Nur sie kann diese Jugendlichen abholen, wo sie sich befinden und aufzeigen,dass es sehr wohl Unterschiede zwischenden Religionen gibt (wer willdiese negieren?), dass man diese aberim Alltag nicht als Hindernis für einfriedliches und würdevolles Zusammenlebensbetrachten darf.
Wird der Deutschlehrer zur Verantwortunggezogen für deutsche Schimpfwörter? Oder sollte da eher der Biologielehrer zuständig sein, gerade, wenn es sich um Schimpfworte aus dem körperlichen Bereich handelt? Der islamische Religionsunterricht muss also gestärkt werden und alle Signale, die auf eine Schwächung der Stellung des Religionslehrers in der Schule hinauslaufen, sind kontraproduktiv und zerstören vieles anmühsam Aufgebautem.
2.6. Muschrik: meist übersetzt mit„Götzendiener“. Wörtlich: „der jenige,der dem einen einzigen Gott etwas andie Seite stellt.“ Ähnlich zu betrachtenwie oben.
2.7. Achi: Wörtlich „mein Bruder“. Dieser Begriff kommt eigentlich nur im Arabischen vor. Im Türkischen gibt es Entsprechungen, da in allen orientalischen Sprachen Ausdrücke der Familiensphäre (Onkel, Tante, Schwester) auf den sozialen Bereichder Öffentlichkeit übertragen werden. In den letzten Jahren ist dieses Wort in seiner arabischen Originalform in andere muslimische Sprachen eingegangen. Gerade in den europäischen Großstädten, wo sich – nicht nur im islamischen RU – muslimische Kinderverschiedenster ethnischer Herkunfttreffen, wird dieses Wort immer mehr zu einem völlig normalen Alltagsbegriff. Ja und ganz „erschreckend“: Auch im modernen Umgangshebräisch wird Achi/Akhi“ verwendet!
Was ist das Problem, wenn Jugendliche sich gegenseitig als „Bruder“ bezeichnen? Wären wir glücklicher mit „Oida“ ? Oder liegt hier die Angst vor neuen Gruppenbildungen vor? Wenn man sich von einem solchen Misstrauen leiten lässt, müsste man Religion insgesamt verbieten. Denn Religion stellt nun mal unterschiedliche soziale Zusammenhänge her undbringt Menschen dazu, sich je nach Milieu unterschiedlich zu verhaltenund unterschiedliche Grade sozialer Nähe einzunehmen. In JEDER religiösen Gemeinschaft verhält man sichanders als in der „Außenwelt“. Wird denn von den Besuchern eines (z.B.christlichen) Gottesdienstes erwartet, dass sie die mit Gläubigen und Mitfeiernden geteilte Freude und religiöse Zusammengehörigkeit an jeden weitergeben können, der diese religiöse Grund überzeugung explizit NICHT teilt? Nein, denn Religionen schaffen unterschiedliche Gemeinschaften, die aber nicht im Widerspruch zur Gesamtgesellschaft stehen müssen.
Dass sich Jugendliche gerne mit unterschiedlichen sprachlichen Codes in neue Subgemeinschaften und Subkulturen eingliedern, ist als ein normales Kennzeichen jeglicher Identitätsbildung anerkannt. Wenn dies mit religiösen Vorzeichen und Symbolen geschieht, bleibt immer noch fraglich, wie sehr überhaupt Religion dahinter steht. Wasim Sinne einer Deradikalisierung ansteht,ist ein stärkeres Arbeiten MIT diesen Jugendlichen, nicht GEGEN sie. Esmuss MIT diesen thematisiert werden, in welchem Maße eine religiöse Verbrüderung wirklich von religiösen Gefühlengeleitet wird oder nur das pubertäre Bedürfnisnach Abgrenzung bedient wird.
3. Vertrauen in die Pädagogik stärken
3.1. Über Misstrauen und Denunzierung zum besseren Miteinander?
Die Situation der Muslime in Österreich kann ohne Weiteres als Vorbildin Europa gesehen werden. Geradedie Verankerung des islamischen Religionsunterrichts im Gesetz ist ein Zeichen weitsichtigen Denkens und Weisheit. Dadurch wird mehr als in den meisten anderen europäischen Ländern zum Ausdruck gebracht, wie durch Anerkennung und Respekt einausgeglichenes Zusammenleben gewährleistet werden kann.
Nun droht aber durch sogenannte Präventionsmaßnahmen die positive Stimmung vor allem in den Schulen zukippen. In Bezug auf die zum Teil im Gegensatz zur österreichischen Tradition stehenden und unüberlegt wirkenden Maßnahmen stellen sichfolgende Fragen:
Was kann mit dieser Art von Präventionsarbeit auf einer pädagogischen Ebene erreicht werden? Ist es zielführend, auf eine verstärkte Beobachtungzu setzen? Wohin führen die zunehmenden Fremdheitserfahrungen, denen muslimische Jugendliche auf einmalin ihrem eigenen Land ausgesetzt werden? Was geht in jungen Menschen vor, die von heute auf morgen in ihrem Heimatland erleben, unter Verdacht zu stehen, weil sie möglicherweise in ihrer Alltagssprache Worte verwenden, die bisher niemanden gestört haben?
Die Idee, dem muslimischen Bevölkerungsteil durch die Anerkennung der Religion ein Heimatgefühl zu vermitteln,ist zu wertvoll, um sie einer aktuellen parteipolitischen Stimmung zu opfern, die durch weltpolitische Ereignisse beeinflusst wird.
Es ist eine unheimliche Gefühlsmischung aus Misstrauen, Angst und Ausgrenzung, die den jungen Muslimen derzeit in vielen Wiener Schulen entgegen schlägt. Vielleicht ist es ander Zeit, in einem Moment der Besinnung, die Entwicklungen mit einem gewissen Abstand zu betrachten und dabei unser gemeinsames pädagogisches Ethos als Maßstab anzusetzen.
Jeder von uns wünscht sich, sowohl für alle PädagogInnen als auch für alle Schüler und Schülerinnen, eine Atmosphäre der Harmonie und des Respekts an den Schulen. Um diese Stimmung des angenehmen Miteinanders zu erreichen, muss ein Umfeld der Anerkennung geschaffen und wahrgenommenwerden. Niemand fühlt sichwohl in einer Umgebung, in der er ausgegrenzt, nicht anerkannt oder sogar abgewertet wird. Zum Selbstverständnis eines jeden Pädagogen sollte es daher gehören, die Stimmung dahingehend positiv zu beeinflussen.
Nun wird aber mit Verdächtigungen, welche die Schüler und Schülerinnen quasi schon beim Verwenden von Alltagsbegriffen in die Nähe des Extremismusrücken, genau das Gegenteilerreicht. Plötzlich macht man sich inöffentlichen Schulen verdächtig, wenn man Worte benutzt, die durchaus zur Alltagssprache junger Muslime gehören. Kinder fürchten, argwöhnischbeäugt zu werden. Man kann diese Art des Misstrauens mit nichts anderemals dem Wort Ausgrenzung deklarieren.
Einem Schüler, der sich vor kurzem noch selbstverständlich als ein muslimisches Mitglied der österreichischen Gesellschaft verstanden hat, wird mit einem Mal ein Teil seiner Identitätentrissen. Klar und unmissverständlich wird ihm vermittelt: „Wenn du so redest, gehörst du nicht mehr zu uns! “Wie soll sich dieser Schüler verhalten? Plötzlich wird die Frage der Identitätzur Bedrohung. Das Selbstbild wird direkt angegriffen. Es geschieht das,was mit erstaunlicher Zuverlässigkeitbei ähnlichen Drucksituationen und Ausgrenzungen zu beobachten ist: Es findet ein Rückzug aus der österreichischen Kultur bzw. Gesellschaft statt. Die Heimat wird zur Fremde. Zu einer kulturell vertrauten, aber sozialen Fremde, der man mit einem Mal nicht mehr angehören darf. Weil man Angst hat, dann einen Verrat an der elterlichen oder großelterlichen Kultur zu verüben. Denn plötzlich wird man vor die Wahl gestellt: Entweder österreichische Identität oder muslimische.
Die Distanz zu dieser Gesellschaft hilft nun dabei, sich auf den anderen Teil seiner Identität zu konzentrieren, um sie nicht auch zu verlieren. Diese rethnozentrische Rückzug auf identitätsstiftende Aspekte des Lebens ist gekoppelt an eine Idealisierung der Herkunftskultur der Vorfahren undentwickelt sich zu einer starren Barriere auf dem Weg zur Teil habe in der österreichischen Gesellschaft. Selbst Dinge oder Verhaltensweisen, die früher nicht geschätzt wurden oder nicht einmal wirklich bekannt waren, erscheinen nun als erstrebenswert. Auf diese Weise werden rigide Identitätengeschaffen, die keinerlei Durchlässig keiterlauben und nun ihrerseits das Andere, das Fremde dämonisieren. Die Rückkehr in die Gesellschaft, in der man eigentlich aufgewachsen ist, wird schwer und praktisch von zwei Seiten verhindert.
Es ist keine neue Entdeckung, dass der Kontakt mit Fremdheit oder Fremden häufig mit Irritation, Angst oder Verunsicherung einhergeht. Aus dieser vagen Gefühlslage kann auch leicht offene Ablehnung oder gar inneres Exil hervorgehen. Der Fremde ist also ständig in Gefahr, abgewertetund angefeindet zu werden. Muslime scheinen immer mehr in diese Rolle des Fremden gedrängt zu werden, ohne sich dagegen wehren zu können. Die Grenzen werden offensichtlich immer deutlicher gezogen. Und der Muslim steht zunehmend außerhalb dieser Grenzen. Einigen mag das gefallen, weil sie im Islam schon immer eine Bedrohung gesehen haben. Aber weltoffene und vernünftige Menschen werden erkennen, wie auf diese Weise eine Spaltung der Gesellschaft vorgenommen wird, die gerade für Pädagogenschwer erträglich ist. So sehenes doch Pädagogen als ihre Aufgabean, zum Guten zu erziehen. Und trotzunterschiedlicher Vorstellungen in Details: Einigkeit besteht darin, dass Ungerechtigkeitund Abwertung nicht zu diesem Guten gehören!
3.2. Islamische Schulen als Ort der Radikalisierung?
Immer wieder wird bei dem Thema Radikalisierung ein Bezug zu islamischen Schulen hergestellt. Kinder würden in diesen von der österreichischen Gesellschaft entfremdet und die Basis für eine spätere Radikalisierung gelegt werden.
Tatsächlich zeigen die Erfahrungen von Pädagogen verschiedener islamischer Schulen, dass viele Kinder in solchen islamischen Schulen zu einer positiveren Einstellung gegenüber der österreichischen Gesellschaft kommen, als muslimische Kinder, die staatliche Schulen besuchen. Wenn man von der Anerkennung als Hauptgrund für ein positives Empfinden gegenüber einer Gesellschaft ausgeht, ist das nicht überraschend. Denn mit der Möglichkeit, den eigenen Glauben leben zu können, steigt gleichzeitig das Gefühl, in diesem Land anerkannt zu sein. Islamische Schulen vermitteln das Gefühl, dass Diversität in unserer Gesellschaft einen Platz hat. Selbstverständlich kann es nicht das Ziel sein, Einrichtungen isoliert und unbemerktam Rande der Gesellschaft zu schaffen. Es soll, wie es auch der Fall ist, ein ständiger Kontakt mit Menschen verschiedener Konfessionen und Weltanschauungen stattfinden. Es geht nicht um Abschottung, sondern um Stärkung des Selbstverständnisses. Auf einer solchen Ebene kann echtes kulturelles Lernen stattfinden, wobei niemand zu einer Überzeugung gedrängt werden darf.
Wie sollte ein junger Mensch anders als mit Verbundenheit zu dem Land reagieren, welches ihm die Möglichkeit gibt, seine kulturelle und religiöse Identität beizubehalten? Die Berichte von Jugendlichen mit türkischen Wurzeln, die niemals bereit wären, ihren türkischen Pass gegen einen österreichischen einzutauschen, gibt es. Denn die Angst, dadurch einen Teil der nationalen Identität aufzugeben, verfolgt sie und wirkt bedrohlich. Es gibt aber ebenfalls Berichte von jungen Menschen, bei denen in dem Moment, in dem sie die Perspektive haben, in Österreich ihre Religion aufverschiedenen Ebenen zu leben, eine positive Veränderung stattfindet. Die oft starre, nationale Identität, die keine andere neben sich duldet, verliert an Bedeutung, und eine neue österreichisch-muslimische Identität tritt an ihre Stelle. Dadurch entsteht, anders als viele vermuten, durch die religiöse Entwicklung eine neue weltoffenere Haltung.
Verlieren wir nicht unser Vertrauen in das pädagogische Potential der österreichischen Schulen!
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Manifest des Netzwerkes Muslimische Zivilgesellschaft
Zielvorstellungen einer islamischen Theologie in Österreich
NMZ.Schriftenreihe
Nr.02
Liebe Freundinnen und Freunde,
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