Vortrag von Dr. Hannah Tzuberi
Im Zentrum dieses Vortrags stehen die Genealogien gegenwärtiger Integrations- und Dialogdiskurse. Dabei wird zunächst ein Rückblick in die Politik der „bürgerlichen Verbesserung“, welcher die jüdischen Gemeinschaft im Kontext europäischer Nationalstaatsbildung ausgesetzt war, aufgestellt: Auf welchen Prämissen beruhte diese „Verbesserung,“ und welche Auswirkungen hatte sie auf die jüdische Minderheit? Wie wirkten sich Partizipations- und Emanzipationsbestrebungen aus, und welche unterschiedlichen Antworten formulierten Juden auf eine Moderne, die das Judentum nicht einschloss? Welche Rolle spielten hier vor allem auch die modernen Wissenschaften? Aufbauend auf diese Fragen wird der Vortrag beleuchten, inwieweit die europäische (und speziell die deutsche) Gegenwart trotz einer intensiver Auseinandersetzung mit der genozidalen Vergangenheit in Kontinuität mit dem „alten“ Europa gelesen werden kann. Inwiefern kann eine Betrachtung speziell der Vorstufen des Genozids Licht auf gegenwärtige Diskurse um die „Verbesserung“ nicht-christlicher Minderheiten in Europa werfen? Was gilt warum als eine legitime, gar notwendige „Religionskritik“ – und was wird warum als anti-Semitismus kategorisiert? Welche Formen der Gewalt gegen Minderheiten sind innerhalb einer säkular-liberalen Matrix überhaupt lesbar? Nicht zuletzt: Bestehen innerhalb der gegenwärtigen Strukturen Handlungsmöglichkeiten, durch die die normativen Annahmen der Mehrheitsgesellschaft benannt und besprechbar gemacht werden können?
Hannah Tzuberi studierte Judaistik und Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und promovierte dort im Graduiertenprogramm History and Cultural Studies. Seit 2013 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Judaistik der Freien Universität Berlin. Im Zentrum ihres Post-doc Projekts steht eine kritische Aufarbeitung der akademischen Beschäftigung mit dem Judentum nach 1945 im Kontext von Vergangenheitsbewältigung und staatlicher Religionspolitik. Hannah Tzuberi ist außerdem „associate expert“ am Center for Intersectional Justice in Berlin und schreibt einen Blog (Mandolinaforpresident).