Kompletter Pressetext: „Moscheeschließungen – Mediale Inszenierung auf Kosten der muslimischen Zivilgesellschaft“

Einleitung

Als am 08.06.18 der Bundeskanzler, der Vizekanzler und zwei weitere Minister sich zusammengetan haben, um gemeinsam eine Pressekonferenz abzuhalten, mag man sich über die Konstellation gewundert haben. Es war ein geschlossenes Auftreten, das auf diese Weise unter Ministern eher selten vorkommt. In dieser reißerisch, überzogenen Darbietung in der sich die besagten Minister in Szene setzten, geschah nichts anderes, als dass Aktionismus vorgetäuscht wurde.

Es war genau diese Aufmachung, die bewusst gewählt worden war, um ein klares Signal auszusenden: Dass es nämlich vor allem ein Thema ist, dem die derzeitige Regierung ihre ganze Aufmerksamkeit widmen würde. Und auch ganz Österreich sollte seinen Blick gebannt darauf lenken. Also alle Augen und Ohren auf: Islamismusbekämpfung… dem vorgeblichen Kampf gegen das Konstrukt eines politischen Islams.

Viel wichtiger als das aktuell anstehende Ceta Abkommen oder die fundamentalen Änderungen bei den geplanten Krankenkassen-Fusionen, ja viel wichtiger noch als die 60-Stunden-Arbeitswoche oder die Sondersitzung zur Causa BVT war jetzt vor allem ein Thema: Der Kampf gegen den politischen Islam!
So und nicht anders funktioniert Ablenkung von den echten derzeitigen Themen der Politik.

Dies war nicht das erste Mal, dass das bewährte “Islam-Thema” herhalten musste, um offensichtlich von anderen Dingen abzulenken.
Nun war es aber das erste Mal, dass die Rhetorik eine derart geladene Kampfstimmung aufwies. Die Furcht vor dem Feind “im Inneren” sollte dieses Mal anhand dem Thema vermeintlich radikaler Moscheen angeregt werden. Es ist ein Spiel, das Populisten gerne spielen: Die Ängste der einfachen Bevölkerung anregen, Panikmache betreiben, um sich dann als die Erretter vor den gefährlichen Fremden aufzuspielen.

Nichts anderes als eine rigide Machtdemonstration war es also, die diesen Fremden klarmachen sollte, wer hier das Sagen hatte.  “Wir verteidigen unser Land vor euch!” Das war die klare Botschaft jener Pressekonferenz am 08.06. Dabei waren die Kontrahenten dieses gezeichneten Bedrohungsszenarios niemand anders als die muslimischen Bürger_innen dieses Landes.

Denn wenn Moscheegemeinden, ohne eingehende Prüfung oder klarer Beweislage öffentlich regelrecht zu Staatsfeinden erklärt werden und die mediale Berichterstattung diesen Eindruck weitestgehend unreflektiert zementiert, dann kommt dies einer gefährlichen Hexenjagd gleich. Gleichzeitig ist es dies ein bedrückendes Zeugnis dafür, wie vergiftet das soziale Klima nach jahrelangen Hetzkampagnen bereits ist.

Denn bei derartigem Vorgehen trifft die Misstrauensbekundung dann nicht mehr nur die einzelnen Moscheegemeinden, die unter Verdacht gestellt werden, keine positive Grundhaltung zum Staat zu haben, wie dies im Islamgesetz eigens gefordert und betont wird. Nein, diese Misstrauensbekundung trifft auch alle anderen Moscheegemeinden, die ebenso gut auf Basis rein formaler Dinge, wie es hier der Fall gewesen ist, bereits in ein radikales Eck gerückt und medial zur Zielscheibe erklärt werden könnten.

Es ist dieser fatale Aspekt der im Vorfeld von vielen kritischen Stimmen aus der muslimischen Zivilgesellschaft angeführt wurde, wofür wir nun ein praktisches Beispiel vorgeführt bekommen haben. Der Generalverdacht, vor dem wir vor wenigen Jahren gewarnt haben, eröffnet sich vor unser aller Augen nun auf ganz praktischer Ebene.

Und damit ist dann auch niemand mehr davor gefeit, nicht morgen schon als potentielle Gefahr abgestempelt und öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Eben gemäß der Laune einer populistischen und prinzipienlosen Politik, die sich nicht vor Feindbildzuschreibungen scheut, sondern diese aktiv tätigt.

Die „Maßnahmen“ der Regierung werden als Schlag gegen den „politischen Islam“ verkauft, bewirken aber nichts anderes als eine Stigmatisierung muslimischer Vereine, gottesdienstlicher Zusammenkünfte und Riten. Der offizielle Vertretung der Muslime in Österreich und ebensowenig dem demokratischen Recht, sich eine eigene Meinung zu bilden wie auch zu vertreten ist damit nicht geholfen und nicht zuletzt auch nicht MuslimInnen im Allgemeinen, welchen ununterbrochen unterstellt wird, die fünfte Kolonne im Staat darzustellen.

Formale Begründungen statt politischem Islam

Die Moscheeschließungen werden von der Regierung mit dem Kampf gegen den politischen Islam begründet, uns vorliegenden Bescheiden gemäß sind die Begründungen allerdings immer nur formaler Natur.

Konkret:

Die Begründung, die „Nizam-ı alem“-Moschee zu schließen, ist eine rein formale: die Moschee hatte bis zur PK am 8. Juni noch keine offizielle Zulassung als Moscheegemeinde durch die islamische Glaubensgemeinschaft erhalten, obwohl der Antrag dort bereits gestellt war. Entsprechend durften dort keine öffentlichen Freitagsgebete abgehalten werden. Mittlerweile wurde der Antrag offiziell eingereicht und die Moscheegemeinde darf ihren gewohnten Betrieb wie in der Vergangenheit wieder aufnehmen und die Gebete in der Gemeinschaft durchführen.

Die arabische Kultusgemeinde wiederum ist ein Zusammenschluss verschiedener kleinerer Moscheegemeinden unterschiedlicher Provenienz. Die Voraussetzungen für eine Kultusgemeinde waren allerdings seit einiger Zeit nicht mehr erfüllt, und dies wurde dem Kultusamt, welches dem Bundeskanzleramt untersteht, bereits 2017 mitgeteilt.

In beiden Fällen wurde von der Regierung der Eindruck erweckt, als würden Moscheen aufgrund politisch islamischer Umtriebe geschlossen. Wie in den Medien zu verfolgen war, liegen aber jeweils formale Begründungen vor, und wie bereits erwähnt, hat die „Nizam-ı alem“-Moschee ihren Dienst wieder aufgenommen. Auch für die betroffenen einzelnen Gemeinden der arabischen Kultusgemeinde besteht die Möglichkeit, den „religiösen Betrieb“ aufrecht zu erhalten, indem die verbliebenen Moscheen sich z.B. als Moscheegemeinden anmelden, wie dies die „Nizam-ı alem“ getan hat. Von „geschlossenen Moscheen“ kann also keine Rede sein, da der Bescheid lediglich die Auflösung der Kultusgemeinde anordnet.

Andererseits wird völlig ignoriert, dass der Vereinsbetrieb an sich niemals von den Maßnahmen betroffen war, ja nicht betroffen sein konnte, da das Islamgesetz hier nicht schlagend wird, sondern das Vereinsgesetz.

Die Regierung erweckt hier ganz bewusst und wider besseren Wissens den Eindruck, als gehe es bei den betroffenen Moscheen um Horte des radikalen Islams. Es wird ein Feindbild konstruiert, das nicht einmal den einfachsten journalistischen Recherchen standhält.

Nach dem ganzen Medienrummel wird auch völlig unter den Teppich gekehrt, dass diese Moscheen in kürzester Zeit wieder ihren legalen religiösen Betrieb aufnehmen. Offensichtlich wird auch versucht, den Anschein zu erwecken, dass es strengerer Kontrollen bedürfe, um das vermeintliche Gefahrenpotenzial in den Griff zu bekommen. Dass durch diese Suggestion ein Klima geschaffen wird, in dem Misstrauen zur Allgegenwärtigkeit wird und auch das in Gemeinschaft gelebte religiöse Leben dadurch Schaden nimmt, scheint nicht zu interessieren.

Bezug zum politischen Islam

Mit der Drohung, 40 Imame der Kultusgemeinde ATIB des Landes zu verweisen, und zwar wegen des Verbots der Auslandsfinanzierung – welche dem Gleichbehandlungsgrundsatz in der österreichischen Verfassung widerspricht –, ist mit der ATIB speziell eine Gemeinschaft getroffen, deren wesentlicher Zweck seit ihrer Gründung in der Türkei die Eindämmung des Politischen unter den türkischen Muslimen ist. Dass diese Imame nun als Hassprediger in verschiedenen Presseberichten behandelt werden, widerspricht nicht nur den Tatsachen; die Begründung ist auch hier eine rein formale, eine aufenthaltsrechtliche.

Die absurde Zuschreibung von Hasspredigten ist bisher zwar von keiner offiziellen Seite getätigt worden, dennoch ist die Hetze gegen den Islam so weit gediehen und der anti-islamische Humus so fruchtbar geworden, dass in der Öffentlichkeit schnell aus aufenthaltsrechtlichen Formalitäten islamistische Feindbilder konstruiert werden.

Ähnliches kann übrigens auch über die arabische Kultusgemeinde gesagt werden, die sich hauptsächlich aus quietistischen Gemeinschaften, ehemaligen Lokalkulturvereinen und sogar Sufis zusammensetzt. Vielmehr stehen einige der betroffenen Moscheen dem ägyptischen Putschgeneral Sisi nahe, den unser Bundeskanzler in regelmäßigen Abständen hofiert und mit deren Regierung Österreich glänzende Geschäftsbeziehungen unterhält. Denn selbst der Salafismus ist in Wahrheit in Ägypten staatstragend, und in keiner dieser Moscheen wird eine politische Meinung vertreten, erst recht keine, die sich gegen Sisi richtet.

Hier ist nicht der Raum, um erschöpfend den Begriff des sogenannten politischen Islams auszuleuchten, aber nachdem die Regierung der Öffentlichkeit formale Verwaltungsakte als den großen Kampf gegen die vermeintlich größte Gefahr unserer Zeit verkauft, seien in aller Kürze folgende Anmerkungen gemacht:

Ohne den Begriff des politischen Islams näher zu definieren, weisen wir darauf hin, dass sich der politische Islam niemals in Moscheen artikuliert hat. Wenn man gängige Definitionen zum politischen Islam zugrunde legt, begannen seine frühesten Vertreter ab Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Ideologien zu entwickeln. Dies waren und sind bis heute aber keine Gelehrten bzw., wenn es Gelehrte sind, werden ihre Ansichten nicht in den formalisierten Gottesdiensten der oft durch reaktionäre und autoritäre Staaten kontrollierten Moscheen gepredigt.

Fazit: an jedem Stammtisch wird mehr politischer Islam “betrieben” als in allen Moscheen Österreichs zusammen.

Pluralismus – auch für Muslime

Nichtsdestotrotz merken wir an, dass es religiösen Menschen und auch Kirchen möglich ist und sein muss, sich zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu äußern. Dies geschieht im Hinblick nicht nur auf Fragestellungen der Ethik, wie zum Beispiel in der Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibung; auch soziale Bereiche wie karitatives Engagement werden vor allem durch die gesellschaftliche Durchdringung christlich-konservativer Werte mitbestimmt. Das gesamte Narrativ der sogenannten „jüdisch-christlichen Tradition“ fußt auf der Prägung unserer Gesellschaft durch Kirchen und durch christliche Parteien. Und selbst einem Papst Franziskus ist es möglich, für die sog. Zwei-Staaten-Lösung in Palästina einzutreten, womit die katholische Kirche sich offiziell positioniert. Überhaupt lässt es sich die katholische Kirche nicht nehmen, sich politisch zu positionieren.

Ebenso vertreten Muslime bestimmte Meinungen zu sowohl gesellschaftlichen als auch innen- wie außenpolitischen Fragen. Wenn man diese in das bekannte progressiv-reaktionär-Schema einordnen würde, hätte man mindestens dieselbe Vielfalt, wie dies auch bei Nicht-Muslimen zu sehen ist. Nur traut sich in Österreich keine einzige islamische Kultusgemeinschaft zu, sich offen zu gesellschaftlich und politisch relevanten Fragen zu äußern – und genau dies wird der arabischen Kultusgemeinde nun vorgeworfen, obwohl sich konservative islamische Positionen formal nicht von konservativen katholischen Positionen unterscheiden. Solche Positionen mögen im Mainstream als politisch veraltet oder reaktionär gelten, jedoch bedroht weder die eine noch die andere die Anerkennung des österreichischen Staates, wie dies im Islamgesetz verankert ist, und schon gar nicht andere Staatsbürger.

Dass – und hier möchte ich unsere wesentliche Kritik am Islamgesetz nochmals unterstreichen – kultische oder religiöse Handlungen von Islamgesetz’ Gnaden legitimiert sein müssen und der IGGiÖ nicht untergeordnete Moscheen oder Vereine keine Gottesdienste abhalten dürfen, ist nicht nur zutiefst antipluralistisch, es schränkt auch die Ausübung einer Religion ein und stellt sie unter staatliche Kontrolle. Der Islam kennt keine Kirche, und eine solche in Form einer Religionsgemeinschaft nach österreichischem Recht zu erzwingen, ist schon die ärgste Einschränkung der Glaubenspraxis der Muslime. Diese josephinistischen Kontrollpraktiken führen unserer Meinung nach jedoch erst recht dazu, dass sich Muslime tatsächlich in parallele Strukturen und Gemeinschaften zurückziehen, wie dies eindrucksvoll am Beispiel der modernen Türkei zu sehen ist.

Abschließend

Zum Abschluss möchten wir festhalten, dass die derzeitige Regierung offensichtlich ganz genau wusste dass sie gar nicht diese Moscheen “schließen” kann, dass gar kein Radikalismusverdacht vorlag, aber dennoch so getan wurde als ob. Damit führt die derzeitige Regierung auch ihre eigenen Wähler_innen an der Nase herum. Es werden Nebelkerzen geworfen, die die Menschen blenden. Vielmehr scheinen die politischen Akteur_innen jedoch ganz genau zu wissen, dass im Kopf die Erfolgsnachricht zurückbleibt „sieben Moscheen geschlossen“ aber keiner mehr mitkriegt, dass später die alle wieder geöffnet wurden. Der rassistisch geführte Diskurs hat eben ein kollektives Ultrakurzzeitgedächtnis, dessen sich die jeweiligen Politiker wohl sehr bewusst zu sein scheinen!

Wir fragen aber nun die Wähler_innen der FPÖ OVP, warum sie sich sie sich so hinters Licht führen lassen, warum sie sich so ablenken lassen von den eigentlichen bedeutsamen Themen. Und wir weisen eingehend darauf hin, dass es nicht eure muslimischen Mitbürger_innen, die euer Misstrauen verdient haben – auch wenn offensichtlich sehr erfolgreich daran gearbeitet wird, euch in diesem Glauben zu lassen!

Des Weiteren tritt nun das NMZ entschieden auf gegen eine “Verkirchlichung” der muslimischen Glaubenspraxis, die einer josephinistischen Bevormundung der Glaubenslehre Vorschub leistet, aber auch der Verhinderung von Beiträgen für Gesellschaft und Politik, die die Muslime leisten könnten.

Darüber hinaus, stellen wir fest, dass die Tatsache, dass gemeinschaftliche Gebetsriten nicht mehr ohne Erlaubnis durchgeführt werden dürfen, sondern nur in eigens genehmigten Moscheen, ein Beispiel für Bevormundung ist.

Und das NMZ tritt auch vehement gegen die Ungleichbehandlung der muslimischen Religionsgesellschaften, kodifiziert im Islamgesetz, auf: es entspricht nun einmal nicht dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Geist eines demokratischen Rechtsstaates, dass MuslimInnen als Einzigen der Zugang zu und die Vernetzung mit im Ausland basierten materiellen wie personellen Ressourcen verwehrt wird; Auch wenn die
wenn dies in aller Selbstverständlichkeit für andere Religionsgesellschaften möglich ist. Das NMZ verwehrt sich ganz allgemein gegen den kolonialen Duktus, der durch jede Zeile des Islamgesetzes durchschimmert.

Über Murat Gürol

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