Kommentar zur Veranstaltung „Bleibt Feminismus antirassistisch?“

„I’m sooo nerved!“

Feministinnen sind genervt von der Kopftuchdebatte. Aha. Interessant. Aber jetzt wissen sie wenigstens, wie sich andere Menschen fühlen, wenn es darum geht, wieviele Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten von börsennotierten Unternehmen sitzen sollen. Hätten die Damen hinzugefügt, dass das Thema „Kopftuch“ als Ablenkungsmanöver der Politik herhalten muss, um von gravierenden Problemen abzulenken – was auch eine Tatsache ist – so wäre vieles von Anfang an klarer gewesen. Das haben sie aber nicht gemacht, sondern erst später erwähnt.

Dass es in diesem Land viele andere Probleme gibt – dafür muss man jetzt nicht studiert haben – ist schließlich hinlänglich bekannt und nichts Neues. Um nun aber den Fokus hinwegzulenken von eben diesen schweren Aufgaben, hackt man lieber auf einer ohnehin schon marginalisierten Gruppe herum: in der Regel Migrationshintergrund, weiblich und mit Kopftuch.

So gesehen haben die Feministinnen recht, wenn sie dieses Spiel durchschauen und auf die Strukturen dahinter aufmerksam machen wollen. Hierbei vergessen Sie aber allerdings eine Kleinigkeit: auch wenn sie selbst nicht betroffen sind, so gibt es dennoch eine Gruppe von Menschen, welche tagtäglich unter eben dieser genannten Debatte zu leiden hat.

Daher ist es eine Zumutung, sich in diesem Fall „genervt“ oder „gelangweilt“ zu fühlen und ein Schlag – wahlweise auch ein Tritt – in das Gesicht derjenigen – die zum Teil schon am Boden liegen -, welche nicht nur im Alltag Übergriffen ausgesetzt sind und unter erschwerten Bedingungen bei der Bewältigung ihrer täglichen Bedürfnisse leiden, sondern auch noch Opfer von einer verfehlten Politik und der daraus resultierenden Gesetze sind.

Da ich mir keine Namen gemerkt habe kürze ich einfach mal ab. F1 wollte lieber über Bärte und andere männliche Körpermerkmale reden. Kein Problem. Wir können gerne über meinen Bart sprechen, wie auch über gewisse Regionen meines Körpers und ich hoffe, dass jetzt nicht gleich alle auf eine bestimmte Stelle meines Körpers blicken. (Ganz nebenbei sehe ich der nächsten Beschneidungs-Debatte gelassen entgegen, doch dies nur am Rande.) Aber wir können darüber reden, wenn es auch wirklich relevant ist. Und das ist es leider aktuell überhaupt nicht. Daher sprechen wir nun einmal über relevante Themen, zu denen eben das Kopftuch gehört, auch wenn bestimmte Personen es leid sind, auch nur davon zu hören, denn auch ein Ablenkungsmanöver kann Kollateralschäden nach sich ziehen.

F2 hielt einen Vortrag über Burka und Niqab, der so angebracht war, wie das neueste Rezept zur Zubereitung von Froschschenkeln. Doch war sie nicht nur „genervt“, nein, sie ging noch einen Schritt weiter. Mit dem erhobenen Kolonialen-Finger machte sie darauf aufmerksam, welche Fehler die Muslime begingen und was sie doch nicht alles zu unternehmen hätten um bestimmte Missstände zu beseitigen. Von dieser Frau hätte ich auch mal gerne eine Haarprobe.

Eine Minderheit wird drangsaliert und muss sich dann auch noch selbst an den eigenen Haaren aus der Scheiße ziehen? Chapeau!

Die Verantwortung wird abgewälzt auf diejenigen, die ohnehin betroffen sind und angegriffen werden, was wohl momentan unter dem Begriff „gemeinsam“ verstanden wird: die Mächtigen sagen, wie etwas zu machen ist und die Schwächeren haben dies zu befolgen. Kein Recht auf Mitsprache oder Beteiligung. Die Kurzsche-Politik-Formel.

Bevor ich nun zum Ende komme, soll noch mal ein Bogen gespannt werden zum Titel der Veranstaltung – „Bleibt Feminismus anti-rassistisch?“ – um den Kreis zu schließen. Wer wäre hierfür besser geeignet als eine Mitdiskutantin? F1: „Rassismus steckt in jedem von uns. Manchmal bin ich erstaunt darüber, wieviel davon in mir steckt.“

Murat Hirsekorn

Über Murat Gürol

Ein Kommentar

  1. Bogen und Saite haben eins gemeinsam: sie werden bei Überspannung zerstoert. Vorher lassen sie es aber noch so richtig krachen….

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