Der „2050 Thinkersclub“ organisierte vor ein paar Tagen eine Podiumsdiskussion zum Thema Kopftuch am Arbeitsmarkt. Univ.Prof.Dr. Doris Weichselbaumer stellte ihre Studie „Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves“ vor, welche die Diskussionsbasis für den Abend darstellte. In der Studie wurde belegt, dass eine Frau mit nicht-deutschem Namen und einem Kopftuch fünf Mal so viele Bewerbungen ausschicken muss, wie eine Frau mit deutschem Namen, um überhaupt die Chance auf ein Bewerbungsgespräch zu bekommen.
Interessanter wurde das Ganze jedoch erst, als die Diskussion eine andere Wende nahm. Es wurde am Anfang der Runde bewusst betont, dass es sich dabei nicht um eine Kopftuchdebatte handeln würde. Doch am Ende lief es darauf hinaus, dass das Kopftuch am Arbeitsmarkt nichts weiter ist, als ein „Luxusproblem“ von Musliminnen. Arbeitsplätze wären reichlich da. Man müsse sich nur entscheiden, ob Religion oder Arbeit wichtiger sei.
Mit am Podium diskutierte auch Mag.a. Dudu Kücükgöl, die als einzige Muslimin am Podium, sowohl mit den Fragenstellungen der Moderation, als auch mit anderen kontextlosen Kommentaren der Frauen am Podium zu kämpfen hatte. Desweiteren wurde Kücükgöl mehrmals vorgeworfen, dass sie emotional reagiere, obwohl sie sachlich argumentierte.
Interessant war dabei zu beobachten, dass die muslimische Feministin am Podium nur von der Studienautorin und einem weiteren männlichen Arbeitgeber unterstützt und verstanden wurde. Der Unternehmensberater der Aida Konditorei Mag. Stefan Ratzenberger berichtete über positive Ereignisse mit der Kundschaft und wie er sich engagierte, dass auch die anderen Angestellten eine sichtbare Muslimin als Arbeitskollegin akzeptieren. In diesem Zusammenhang sprach er über einen beidseitgen Integrationsprozess und, dass auch Arbeitgeber einen Schritt zuvor kommen müssen, wobei dieser Prozess noch lange dauern würde.
Doch die Moderatorin schaffte es diesen Gesprächsfluss ins Negative zu lenken, indem sie Themen ansprach, wie die Problematik des Betens am Arbeitsplatz, wobei das nicht der Inhalt der eigentlichen Diskussion war.
Mag.a Petra Draxl, die laut ihren Angaben den größten Arbeitgeber in der Runde vertritt, warf ein, dass vor allem das AMS einen laizistischen Arbeitsmarkt anstrebe und daher gegen jegliche religiöse Symbole ist, wie auch das Kopftuch.
Sie lenkte das Thema des Kopftuchs am Arbeitsmarkt geschickt in eine andere Richtung. Im Vordergrund stand nun die unterdrückte Muslimin, die theoretisch bereit wäre ihr Kopftuch abzunehmen, dies aber aufgrund familiären Druckes nicht machen könnte. Somit waren wir gleich bei der Debatte, ob eine Muslimin während der Arbeitszeiten überhaupt das Kopftuch tragen müsse.
Allgemein war der Tenor eher dahingehend, dass eine muslimische Frau sich bewusst sein sollte, dass sie sich durch ihre Entscheidung ein Kopftuch zu tragen selbst in eine schlechtere Ausgangsposition bringt und daher klarerweise benachteiligt wird: ein klassischer Fall von „victim blaming“.
Es wurde kaum über den Prozess gesprochen, den es benötigt, um Arbeitgeber darauf zu sensibiliseren. Vielmehr wurde über die „Flexibilität“ muslimischer Frauen hinsichtlich des Kopftuches diskutiert.
Als Kücükgöl darauf aufmerksam machen wollte, welche Richtung dieses Gespräch einnimmt, wurde sie gleich von der nächsten Frage überrollt. Es kam nämlich der Einwurf der Moderatorin, dass die Frauenbeauftragte der IGGIÖ Amina Baghajati sich für „Solidarität und Verständnis gegenüber muslimischen Frauen“ aussprach, die das Kopftuch absetzen müssen, weil Arbeitgeber es nicht möchten. „Wer hat zum Beispiel je eine Verkäuferin in einer der großen Supermarktketten mit Kopftuch gesehen?“ lautete die vorgelesene Aussage von Baghajati.
Mit dieser Argumentation legitimierte man den Grundgedanken, dass Frauen problemlos ihr Kopftuch abnehmen und trotzdem als „vollwertige Muslimin“ angesehen werden können.
Es geht jedoch nicht darum, ob man je sichtbare Musliminnen in Supermarktketten gesehen hat. Die Frage hätte wohl eher lauten sollen „Warum gibt es keine (wenige) Musliminnen mit Kopftuch als Verkäuferinnen?“
Solidarität besteht nicht darin, dass die IGGIÖ Frauenbeauftragte den muslimischen Frauen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, unterstützt das Kopftuch abzulegen. Solidarität bedeutet in diesem Fall, sich für die Probleme der Musliminnen einzusetzen, die aufgrund ihres Glaubens sozialer Diskriminierung ausgesetzt sind und diese dann anschließend zu bekämpfen.
In dieser hiesigen Diskussion betonte die Nahost Expertin Dr. Karin Kneissl mehrmals, dass sie sich immer angepasst habe, ganz gleich in welchem Land sie sich befand. Als Beispiel nannte sie ihre Aufenthalte im Iran und meinte, dass Musliminnen mit Kopftuch sich ohne weiteres genauso in Österreich anpassen könnten.
Ein Zwang, egal in welche Richtung, ist natürlich klar zu verurteilen. Ganz gleich, ob die Argumentation auf sekulären oder auf religiösen Motiven basiert. Aber es ist bemerkenswert, dass Länder, die per se immer stark kritisiert werden, plötzlich zum Vergleich herangezogen werden, um die Diskriminierung am österreichischen Arbeitsmarkt zu legitimieren. Das zeugt von einer Doppelmoral, die uns in solchen Diskursen nicht unbedingt fremd ist.
Schön wäre es gewesen, wenn der Fokus sich weg von der Kopftuchdebatte hin zu einer allgemeinen Debatte bewegt hätte. Denn wir sind heute noch immer weit davon entfernt über Gleichstellung von Mann und Frau am Arbeitsmarkt zu sprechen. So ist auch die Diskriminierung sichtbarer muslimischer Frauen am Arbeitsmarkt ein gesamtgesellschaftliches Problem und muss demnach auch als solches wahrgenommen und behandelt werden.
Begüm T., Gözde T., Esma C.
Sehr geehrte Frauen – zuerst möchte ich meine Bewunderung zum Ausdruck bringen für Ihr Engagement. Diskussionen und Austausch sind auf jeden Fall wichtig für die Weiterentwicklung der Gesellschaft.
Allerdings verstehe ich nicht ganz, warum Frau Dr. Kneissl Doppelmoral vorgeworfen wird, wenn Sie Anpassung zum Sprache bringt. Das Thema „Kopftuch“ ist ja wesentlich komplexer als es der Normalbürger versteht – was wir Nicht-Muslime sehr wohl verstehen (speziell wenn wir öfters mit Muslimen arbeiten und/oder diskutieren) ist der Wunsch nach Differenzierung und – leider auch – moralischer Überlegenheitsgefühlen gegenüber den Kuffar (ich hoffe, man schreibt das so).
Vielleicht wird es (generell bei FeministInnen) mal Zeit, aus dem ewigen Selbstmitleid herauszukommen.
Wenn ich mich auf eine bestimmte Art jenseits des Mainstreams kleiden möchte, weil ich meine Individualität damit zu Ausdruck bringen möchte und/oder meine Religiosität auf diese Art zum Ausdruck bringen möchte, dann muss ich auch damit leben, dass es jemand anderen nicht gefällt und wenn er die Wahl hat, sich gegen mich entscheidet.
Passiert im übrigen auch, wenn man Punk ist und sich so kleidet. Tätowierungen werden von vielen Arbeitgebern ebenfalls problematisch gesehen (auch sie bringen mitunter eine gewisse Lebenseinstellung zum Ausdruck). Die Probleme am Arbeitsmarkt sind vielfältig und als Nicht-Mehr-Muslimin bin ich ebenso mit Diskriminierung konfrontiert – nur hab ich halt keine „religiöse“ Ausrede für Selbstmitleid.
Mir wurde schon öfters der Zugang zu hippen Clubs verwehrt (vielleicht weil ich nicht hübsch genug war?), habe eine Unmenge von Jobs NICHT bekommen, wurde unzählige Male NICHT zum Jobinterview eingeladen. So what?
Diskriminierung passiert jeden Tag – durch JEDEN. Auch Muslime diskriminieren was das Zeug hält. Bitte hören Sie auf, sich so darzustellen, als würden das nur „Weisse“ machen. Es rückt Sie als MuslimInnen in ein schwächliches Licht, das weder Ihrer Religion noch Ihrer Würde entspricht.
Man kann in diesem Land anziehen was man will – eine soziale Kategorisierung ist dann der Preis den man dafür zahlt. Also seien Sie auch so stark ihn zu zahlen und hören Sie auf, sich darüber zu knatschen wie ein kleines Kind, nur weil nicht jeder das super findet, wenn man der Gesellschaft eigentlich den Stinke-Finger zeigt.
Und bevor Sie sich durch mich diskriminiert fühlen, weil Sie innerlich der Meinung sind, dass ich zu solchen Äußerungen kein Recht habe – bin auch eine „Braune“, Tochter von Putzfrauen (ohne Kopftuch!!!), habe mir meine Ausbildungen selbst bezahlt und meine Söhne sind KEINE unkontrollierten Sex-Tiere, die sich auf Frauen stürzen wenn diese kein Kopftuch haben. Meine Würde und meine Spiritualität hängen nicht von einem Tuch ab und auch nicht von einer Verächtlichmachung anderer.
MFG
Andina Jurassovic